Müller Thurgau… echt jetzt?

Japp, heute eine Rebsorte im Glas, über die Martin Kössler von der Weinhalle bereits das Todesurteil gefällt hat. Auf seiner Seite schreibt er über die lange rätselhafte Züchtung „Man kann nur hoffen, dass Müller-Thurgau seine Bedeutung für den deutschen Weinbau verliert…“ Müller Thurgau Schömig

Der Müller ist tot, lang lebe der Müller.

Kössler begründet dies wie immer ausführlich, Kössler ist jemand, der seine Meinung durchaus untermauern kann. Es ist seine Sichtweise, seine Meinung, dahinter steht ein Produkt, das, was eben die Weinhalle ist – ohne Frage eine DER Weinhandlungen in Deutschland. Ich bin dort immer wieder gerne Kunde, aber eben nicht ausschließlich dort…

Zugegeben, Müller-Thurgau läuft mir hier und da auch nur über den Weg; auf irgendwelchen Festen oder sonstigen Gelegenheiten – als Schorle versteckt und verdünnt – bei denen die feucht fröhliche Geselligkeit der Hauptgrund ist. Niemand denkt drüber nach was er da trinkt, es ist heiß, die Musik spielt, alles gut; das Leben ist schön.

Müller Thurgau ist wahrlich nicht der Wein zum Hochjubeln, dafür wurde und wird er auch nicht gemacht. Er ist gedacht als Arbeitstier und als solches hatte er seine Hochzeiten nach dem Krieg und in den Jahrzehnten darauf. Tausende Winzer haben damit ihren Hof am Laufen gehalten, die nächste Generation hervorgebracht, passt schon.

Im Bokeh versteckt: Lebendiger Weinberg, Bewuchs zwischen den Rebzeilen

Müller wird freilich immer ein bisschen bleiben was er ist. Dass in der Rebe aber durchaus auch Potential stecken kann, zeigt uns die Naturland Winzerin Franziska Schömig mit Ihrem 2018er „am Wasserhäusle“. BIO, spontan vergoren, Handlese. Schömigs Weine kommen aus dem Kobersberg der Gemeinde Rimpar, wenige Kilometer nördlich von Würzburg gelegen. Die Böden des Maindreieck sind geprägt vom Muschelkalk, der Kobersberg hat dazu noch eine Lage fruchtbaren, fetten Boden mit drauf. Laut Etikett ein Landwein, reicht auch völlig aus. Müller Thurgau Schömig

Weine werden nicht für Kritiker gemacht

…sie werden gemacht für die WG-Party in Berlin, irgendein Fest auf dem Lande, für die Familienfeier oder einfach als daily drinkable für meine Mama. Auch „Brot und Butter“ Wein ist ein legitimer Grund, Weck, Worscht un Woi heißt das in meiner Heimat. Das täglich´ Brot ist ein Grundnahrungsmittel, es kann nicht 40€ kosten und muss nicht Grosse Lage Sonstwo sein.

Und nein, diese Zeilen sind nicht der Versuch was besser zu reden, sondern etwas wieder auf die Füße zu stellen: Wenn wir Weinschreiber nicht aufhören ausschließlich die 372 Punkte Weine zu loben und Anlässe unterhalb der Geburt von Jesus Christus nicht mehr gelten lassen, dann sind wir abgehoben, dann sind wir jene Snobs, gegen die die Weinbloggerei seit 10 Jahren wettert und es am Ende keinen Deut besser macht.

Ein Winzer muss und darf seine Vorstellung von Wein haben, auch die Kundschaft darf er sich selbst erarbeiten. Wir reden hier nicht über den Handel mit BIO Waffen, die Welt geht nicht unter, wenn der vermeintlich schlechte Müller bleibt.
Franziska Schömig hat mit Ihren Weinen die große Chance über den kleinen Kundenkreis der Weinfreak-Gemeinde hinaus zu kommen, ohne aber die verbreitete Beliebigkeit Frankens zu kopieren. 

Im Glas

Zuerst: bloß nicht eiskalt aus dem Kühlschrank trinken! Ein paar Grad mehr dürfen es schon sein. In der Nase von allem nur ein Hauch, kein lautes Gedrängel, kein fränkisches TuttiFruttiGetöse. Anfangs ein leicht blumiges Aroma und ordentlich Hefelager. Feine Mineralik auf der Zunge, eine für die Region typische Muschelkalkaromatik kommt ganz dezent durch. Fein gelbfruchtig, gepaart mit einer herben Note, Müller mal mit richtig Tiefgang. Kräuterwürzig und richtig lang im Nachgang, das Ganze bei fast schon cremig anmutenden Körper. Alles andere als die langweilige Beliebigkeit, die man mit Müller Thurgau leider viel zu oft im Glas hat. Das Ding ist eine Ansage und damit mein Wein des Monats!

Bezugsquellen findet man hier

Fotos:
nach telefonischer Genehmigung des Weingutes vom 09.06.2020,
Fotograf Stefan Bausewein,
Flaschenfoto (zeigt alte Ausstattung bis Jahrgang 2018) Alex. Schilling

Der Bayerische Rundfunk war auch schon mal da, hier das Video:

Der mit dem Adler strauchelt – Netto und die Erste Lage

Der Vormarsch der Discounter in Sachen Wein ist bekannt. Naja, „Vormarsch“: Gern wird übersehen, dass gerade Läden wie Aldi schon seit Jahren in dem Segment tätig sind. netto erste Lage

Über 50% des in Deutschland an den Endkunden gehandelten Weines finden eben über jene Discounter den Weg zur Studentenparty, zum Sommergrillen und in den ganz normalem Lebensalltag. Hier sind Bier und Wein basisdemokratisch gleichgestellt. Die „Gemeinde“ – also Weinwissende in Facebook – rumoren freilich gerne in ihren Kommentarspalten, sobald sich ein Wein dieser Herkunft, also Discounter (jetzt Nase rümpfen) über Prospekte, Internet usw. anbahnt. Dann ist es mit der Gleichstellung dahin.
Denn in diesen Köpfen ist Wein nichts anderes als der Heilige Gral. Schon das Öffnen dieser Weine muss für den Kenner mindestens ein Attentatsversuch dunkler Kräfte sein: Fällt er nicht um, ist er kein Kenner. Mein Historikerhirn bittet gerade um einen Termin und möchte über die Hexenverbrennung referieren. Die funktionierte ähnlich… Postfaktisch, alles schon mal da gewesen.

Und jetzt steht so einer als Paket vor meiner Tür…

netto erste Lage
Nur ein Anwärter? Prinz-Netto der Erste (Lage)

Trotz seines schlechten Rufes ist Discounterwein weit davon entfernt, die Welt ins Chaos zu stürzen. Discounterwein ist im Normalfall ein Massenprodukt, aber immer noch weitaus weniger bedenklich, als die Massenproduktion der Fleischindustrie. Das grundsätzliche Prinzip ist dann aber doch das Gleiche, will das an dieser Stelle gar nicht weiter vertiefen. Es wäre ein eigenes Thema, ganze Regalmeter könnte man damit füllen.

Der Discounter ist also da. Er hat in den letzten Jahren seine Kundschaft akquiriert, macht seine Umsätze und bringt Wein in einer so lala Qualität unter das Volk. Eine Leistungsschau dessen, was Spitzenwinzer so können ist das nicht, und ich glaube, dass der Kunde das auch gar nicht (bezahlen) will oder in einigen Fällen auch gar nicht kann! netto erste Lage

Erste Lage für´s Volk

Und jetzt steht ab dem 20. März in einzelnen Filialen von netto und dessen online Shop – also nix Massenwein – ein Riesling aus dem Rheingau in recht althergebrachter, Tradition verströmender Ausstattung. Auf dem Flaschenbauch steht der Weinpsalm „ERSTE LAGE“. Aha, VDP. Bei netto? Ne, die Geschichte geht im ganz normalen Alltag so:

„Hier Helga, schau mal, wenn die Michls kommen, datt is bestimmt ´n guter, kostet auch watt!“. Helga nimmt ihr Handy, tippt in google „Erste Lage Michelmark“ und / oder vielleicht noch „Wein“ ein. Sie landet beim VDP. Verband Deutscher Prädikatsweingüter. „Haste Recht, is´ Premium, für 6.99€! Herbert, nimm zwei“ – man läuft weiter zur Kasse…
Die Geschichte ist hier zu Ende. Der Marketingmensch dahinter schreibt JETZT seine Rechnung, denn er hat alles richtig gemacht. Und das meine ich wirklich so!

netto erste Lage
Zweimal “Erste lage”, Original und Marketing

Dieser Wein hat mit dem VDP nichts zu tun. Auch verbirgt sich hinter der Administration Prinz von Preußen kein wirkliches Weingut, vielmehr ist es ein Handelsname des Weingutes Schloss Reinhartshausen. Und tatsächlich hat dieses Weingut dann ein paar Hektar Wein in jenem Weinberg stehen, der auch tatsächlich vom VDP klassifiziert ist. netto erste Lage

Wer er wirklich wissen will, der liest noch weiter: Ein Etikett am Flaschenhals fasst den Qualitätsbegriff des VDP mit annähernd gleichen Worten, aber 100% sinngemäß zusammen. „Je enger die Herkunft eines Weines gefasst ist, desto höher seine Qualität“ usw. Kurzum, das Kokettieren mit dem VDP ist hier volle Absicht.

Jedes VDP Mitglied wird sich ein bisschen ärgern, in Wiesbaden trudeln die Tage sicher viele Mails ein, und die Fachanwälte für Markenrecht haben sicher auch schon getagt: Rechtlich ist die Geschichte einwandfrei, da nur der Begriff „VDP.Erste Lage“ geschützt ist. Und alles andere kann nun wirklich jeder von seinem Wein zumindest mal behaupten. Freies Land = freedom of speech.

Administration Prinz von Preußen Erbacher Michelmark Riesling Erste Lage 2016

Ist der Prinz von Preußen wirklich ein Anwärter auf den Riesling Thron? Wie ist er denn, der da aus dem böööhsen Discounter kommt. Wie schmeckt Wein aus dem „Drecksladen“? So zumindest eine der noch zitierfähigen Titulierungen auf Facebook ohne das mein Jugendschutzbeauftragter eine Altersbeschränkung verhängen muss.

Gut! An der Nase zugegeben etwas Bonbon, aber auch Apfel und Aprikosen. Am Gaumen eine schöne Frische, schmeckt eindeutig nach Rheingau und Riesling.
Nicht künstlich beschnitten, die für Riesling typische Säure bleibt. Wer Riesling nicht mag, wird auch hier nicht weiter kommen.
Nachhall ist ordentlich präsent, inclusive einem leichten Zuckerschwänzchen, vielleicht hat er so 4-5g. Im Gesamteindruck ist der Netto-Prinz noch ein wenig unruhig, aber schon jetzt mehr als nur ein Anwärter. Werde die zweite Flasche, die mir Stefanie vom Team von Netto Marken-Discount geschickt hat, mal gegen Herbst anpeilen.

Man kann über den Riesling Michelmark Erste Lage nicht wirklich meckern. Wer wie ich vor Jahren über den Supermarkt zum Wein gekommen ist, wäre mit diesem Riesling als Einstieg überhaupt nicht falsch beraten. Alle anderen werden einfach ihren Spaß damit haben, obwohl sie vielleicht das erste Mal 6,99€ für einen Wein ausgeben. Auch wenn netto mit dem (VDP) Adler strauchelt, der Wein wird landen!

Und da ich nach Möglichkeit immer eine Bezugsquelle angebe, den Wein gibt´s hier zu kaufen. netto erste Lage

Silvaner – Luxus für jeden Tag

Stolper in meinem Keller über zwei Flaschen Silvaner. Wittmann und v. Racknitz. Kein Lagengedöns, einfach Wein. In Franken glaubt man, Silvaner geht nur jung und frisch. 2012? Rührt hier keiner mehr an. Endstation: Ladenhüter

[dropcap1]M[/dropcap1]acht nix, dann trink ich 2012 halt allein. Bei Wittmann und v. Racknitz ist das Kerngeschäft sicher der Riesling. Verdammt guter Riesling. Aber große Brüder haben immer Einfluss auf „die Kleinen“… Und das Resultat ist bei beiden Weingütern mehr als nur Zufall, sondern der Wille zu gutem Wein. Silvaner – Luxus für jeden Tag weiterlesen