Der mit dem Adler strauchelt – Netto und die Erste Lage

Der Vormarsch der Discounter in Sachen Wein ist bekannt. Naja, „Vormarsch“: Gern wird übersehen, dass gerade Läden wie Aldi schon seit Jahren in dem Segment tätig sind. netto erste Lage

Über 50% des in Deutschland an den Endkunden gehandelten Weines finden eben über jene Discounter den Weg zur Studentenparty, zum Sommergrillen und in den ganz normalem Lebensalltag. Hier sind Bier und Wein basisdemokratisch gleichgestellt. Die „Gemeinde“ – also Weinwissende in Facebook – rumoren freilich gerne in ihren Kommentarspalten, sobald sich ein Wein dieser Herkunft, also Discounter (jetzt Nase rümpfen) über Prospekte, Internet usw. anbahnt. Dann ist es mit der Gleichstellung dahin.
Denn in diesen Köpfen ist Wein nichts anderes als der Heilige Gral. Schon das Öffnen dieser Weine muss für den Kenner mindestens ein Attentatsversuch dunkler Kräfte sein: Fällt er nicht um, ist er kein Kenner. Mein Historikerhirn bittet gerade um einen Termin und möchte über die Hexenverbrennung referieren. Die funktionierte ähnlich… Postfaktisch, alles schon mal da gewesen.

Und jetzt steht so einer als Paket vor meiner Tür…

netto erste Lage
Nur ein Anwärter? Prinz-Netto der Erste (Lage)

Trotz seines schlechten Rufes ist Discounterwein weit davon entfernt, die Welt ins Chaos zu stürzen. Discounterwein ist im Normalfall ein Massenprodukt, aber immer noch weitaus weniger bedenklich, als die Massenproduktion der Fleischindustrie. Das grundsätzliche Prinzip ist dann aber doch das Gleiche, will das an dieser Stelle gar nicht weiter vertiefen. Es wäre ein eigenes Thema, ganze Regalmeter könnte man damit füllen.

Der Discounter ist also da. Er hat in den letzten Jahren seine Kundschaft akquiriert, macht seine Umsätze und bringt Wein in einer so lala Qualität unter das Volk. Eine Leistungsschau dessen, was Spitzenwinzer so können ist das nicht, und ich glaube, dass der Kunde das auch gar nicht (bezahlen) will oder in einigen Fällen auch gar nicht kann! netto erste Lage

Erste Lage für´s Volk

Und jetzt steht ab dem 20. März in einzelnen Filialen von netto und dessen online Shop – also nix Massenwein – ein Riesling aus dem Rheingau in recht althergebrachter, Tradition verströmender Ausstattung. Auf dem Flaschenbauch steht der Weinpsalm „ERSTE LAGE“. Aha, VDP. Bei netto? Ne, die Geschichte geht im ganz normalen Alltag so:

„Hier Helga, schau mal, wenn die Michls kommen, datt is bestimmt ´n guter, kostet auch watt!“. Helga nimmt ihr Handy, tippt in google „Erste Lage Michelmark“ und / oder vielleicht noch „Wein“ ein. Sie landet beim VDP. Verband Deutscher Prädikatsweingüter. „Haste Recht, is´ Premium, für 6.99€! Herbert, nimm zwei“ – man läuft weiter zur Kasse…
Die Geschichte ist hier zu Ende. Der Marketingmensch dahinter schreibt JETZT seine Rechnung, denn er hat alles richtig gemacht. Und das meine ich wirklich so!

netto erste Lage
Zweimal “Erste lage”, Original und Marketing

Dieser Wein hat mit dem VDP nichts zu tun. Auch verbirgt sich hinter der Administration Prinz von Preußen kein wirkliches Weingut, vielmehr ist es ein Handelsname des Weingutes Schloss Reinhartshausen. Und tatsächlich hat dieses Weingut dann ein paar Hektar Wein in jenem Weinberg stehen, der auch tatsächlich vom VDP klassifiziert ist. netto erste Lage

Wer er wirklich wissen will, der liest noch weiter: Ein Etikett am Flaschenhals fasst den Qualitätsbegriff des VDP mit annähernd gleichen Worten, aber 100% sinngemäß zusammen. „Je enger die Herkunft eines Weines gefasst ist, desto höher seine Qualität“ usw. Kurzum, das Kokettieren mit dem VDP ist hier volle Absicht.

Jedes VDP Mitglied wird sich ein bisschen ärgern, in Wiesbaden trudeln die Tage sicher viele Mails ein, und die Fachanwälte für Markenrecht haben sicher auch schon getagt: Rechtlich ist die Geschichte einwandfrei, da nur der Begriff „VDP.Erste Lage“ geschützt ist. Und alles andere kann nun wirklich jeder von seinem Wein zumindest mal behaupten. Freies Land = freedom of speech.

Administration Prinz von Preußen Erbacher Michelmark Riesling Erste Lage 2016

Ist der Prinz von Preußen wirklich ein Anwärter auf den Riesling Thron? Wie ist er denn, der da aus dem böööhsen Discounter kommt. Wie schmeckt Wein aus dem „Drecksladen“? So zumindest eine der noch zitierfähigen Titulierungen auf Facebook ohne das mein Jugendschutzbeauftragter eine Altersbeschränkung verhängen muss.

Gut! An der Nase zugegeben etwas Bonbon, aber auch Apfel und Aprikosen. Am Gaumen eine schöne Frische, schmeckt eindeutig nach Rheingau und Riesling.
Nicht künstlich beschnitten, die für Riesling typische Säure bleibt. Wer Riesling nicht mag, wird auch hier nicht weiter kommen.
Nachhall ist ordentlich präsent, inclusive einem leichten Zuckerschwänzchen, vielleicht hat er so 4-5g. Im Gesamteindruck ist der Netto-Prinz noch ein wenig unruhig, aber schon jetzt mehr als nur ein Anwärter. Werde die zweite Flasche, die mir Stefanie vom Team von Netto Marken-Discount geschickt hat, mal gegen Herbst anpeilen.

Man kann über den Riesling Michelmark Erste Lage nicht wirklich meckern. Wer wie ich vor Jahren über den Supermarkt zum Wein gekommen ist, wäre mit diesem Riesling als Einstieg überhaupt nicht falsch beraten. Alle anderen werden einfach ihren Spaß damit haben, obwohl sie vielleicht das erste Mal 6,99€ für einen Wein ausgeben. Auch wenn netto mit dem (VDP) Adler strauchelt, der Wein wird landen!

Und da ich nach Möglichkeit immer eine Bezugsquelle angebe, den Wein gibt´s hier zu kaufen. netto erste Lage

Jülg Sauvignon blanc Sonnenberg 2012 trocken Pfalz | #Leertrinker07

Vor einigen Tagen hatte ich hier auf dem weinblog einen Sauvignon blanc. Über diese Rebe zu berichten gleicht in Deutschland gnadenloser Sisyphusarbeit. Gelesen hat den Text kaum jemand, also gleich mal nachlegen. Warum? Weil guter Wein!

[dropcap1]D[/dropcap1]as Weingut Jülg hat mich bereits vor einiger Zeit mit einem wunderbaren Riesling aus dem gleichen Jahrgang in den Bann gezogen; es wird also Zeit, mal wieder über das Weingut aus Schweigen in der Pfalz unmittelbar an der Grenze zu Frankreich zu berichten. Der Schwerpunkt des Betriebes unter Johannes Jülg liegt zwar eindeutig auf Riesling und feinsten Spätburgundern, was aber diesen Sauvignon blanc nicht schmälern soll. Im Gegenteil: Stilistisch fügt er sich in das Sortiment ein und sollte neben den „großen Brüdern“ einmal erwähnt, besser noch getrunken werden!

Jülg_Sauvignon_blancDenn auch bei diesem Wein aus dem Sonneberg zeigt das Weingut Jülg was es antreibt. Gerade mit dieser Rebe. Man könnte nämlich so viel mehr Getöse daraus machen, aber man muss es eben nicht. Bei Jülg lebt man bewusste Reduktion und Understatement, die räumliche Nähe zu Frankreich ist spürbar.
Es ist ein bisschen jener Schmelztiegel-Effekt, den man auch bei Winzern aus dem Elsass immer mal wieder beobachten kann. In der Flasche verschwimmen die Ländergrenzen, das ist gut, das ist eigenständig! Der Spross der Familie Johannes hat neben vielen anderen Stationen auch im Burgund gelernt, irgendwie glaubt man das dann auch zu schmecken… Jülg Sauvignon blanc Sonnenberg 2012 trocken Pfalz | #Leertrinker07 weiterlesen

Domberg – Marbach – Felsenberg

Seit mehr als 1000 Jahren wird an der Nahe Wein angebaut. Als Spitzenerzeuger wirklich etablieren konnten sich die Betriebe zwischen Bingen am Rhein und Meisenheim am Glan aber erst in den letzten 15 Jahren. Zu lange stand das eher kleine Anbaugebiet im Schatten von Rheingau und Mosel als internationale Player und Aushängeschilder der Republik

[dropcap1]D[/dropcap1]abei wäre es dem Anbaugebiet und dessen Winzerschaft wirklich zu gönnen, ebenfalls als Vorzeiger zu gelten. Qualitativ gibt´s da nämlich nix zu deuteln. Im Gegenteil: Tradition kann schwer wiegen und wirklich im Wege stehen. Oftmals wird um längst erkaltete Asche getanzt und übersehen, dass der Kunde nach neuem Feuer, Glut und der Besinnlichkeit eines Lagerfeuers verlangt.

Weinbaugesetz 1971Zu Verdanken hat man den langsamen Aufstieg an der Nahe sicher auch dem in der Weinszene immer mal wieder heiß diskutiertem Weinbaugesetz von 1971. Ohne Herkunft und Profil geht aber nichts, der Paragraph definierte die Nahe als eigenes Weinbaugebiet, zuvor sprach man lapidar vom „Rheinwein“. Domberg – Marbach – Felsenberg weiterlesen