Die Spätburgunder – Suchtberatung empfiehlt:

So, der Herbst ist da. Bald wird’s wieder kuschelig. Die Weinwerberei wird wieder mehr Roten empfehlen, weil das ja im Winter so prima passt. In Italien trinkt man im Hochsommer schließlich ja auch nur Weißwein: Klischeesaufen. Wollen wir (meistens) nicht!

[dropcap1]H[/dropcap1]eute mit Zwei Spätburgundern aus deutschen Landen unterwegs. Der eine stammt vom noch recht jungen, im Jahre 2009 gegründeten und leider weniger besungenen rheinhessischen Weingut Bäder, der andere kommt vom allseits bekannten Weingut Günther Steinmetz aus Brauneberg an der Mosel.
Man mag mir angesichts der verschiedenen Bekanntheitsgrade den Vergleich von Äpfeln und Birnen vorwerfen – in meinem Müsli hatte ich heute Morgen beides. „Und dann noch verschiedene Jahrgänge“. Es gibt große Pinot-Jahrgänge und Arschjahre, aber hier soll ruhig alles erlaubt sein.

Beide Weine haben ein bisschen Sonderstatus. Spätburgunder aus dem Rieslingparadies Mosel haben die Wenigsten (leider auch Weinhändler) auf dem Zettel stehen, und auch Rheinhessen ist in der allgemeinen Wahrnehmung alles andere als eine Referenz für diese Rebsorte.
Das soll keine Häme sein. Vielmehr geht es darum, mit Konventionen zu brechen und einfach mal zu probieren. Nichts verhindert neue Pfade mehr, als verstaubtes Zeremoniell.
Beide Weine sind von sehr unterschiedlicher Art und sollen hier nicht als Kontrahenten, sondern vielmehr als mögliche Vertreter ihresgleichen antreten. Es geht ganz einfach um „uuh, der is lecker“, „der aber auch!“.

steinmetz_weinblog
Spätburgunder Baeder 2012 trocken, Rheinhessen, Weingut Bäder

An der Nase erst mal ein „Aha!?“. An der Nase echter Beerenduft wie bei der Oma im Garten, das pappig süßliche fehlt. In Anlehnung an „ein Maul voll Wein“ (auf wen auch immer der Satz zurück geht) ist das hier ein Maul voll Echt. Dazu Eindrücke von Mandel, muss man allerdings ein bisschen suchen. Beim ersten Schlückchen dezente Nuancen von allerlei Kräutern wie Rosmarin und Thymian, gepaart mit einer gewissen Schärfe und hintergründigen Säure. Hat was!
Der Wein stand nicht weniger als 30 Tage auf der Maische, wurde danach in Zweit- und Drittbelegung in Barriquefässer gefüllt. Trotz der vielen Handarbeit im Keller ist der Spätburgunder von Bäder aber alles andere als dick geraten, nix „internationaler Stil“.
Hält sich, wie das für die tanninarme Rebsorte eigentlich typisch ist, mit Gerbstoffen zurück. Nicht jeder Winzer schafft es, dass so viel Aufwand im Keller zum Feinschliff eines Weines beiträgt und nicht bloß zu lautem Gebrüll im Glas mutiert.


Pinot Noir 2011 Kestener Paulinsberg unfiltriert, Mosel, Weingut Günther Steinmetz

Den Spätburgunder aus dem Haus Steinmetz könnte man als animalisch bezeichnen. Ohne Entrappung im Holzbottich offen vergoren, danach langer Ausbau im Fass. Mancher Weinschreiber bezeichnete den Pinot Noir Paulinsberg auch schon mal als rustikal… aber damit käme der Wein in eine gewisse Schublade, in die er dann doch einfach nicht gehört.
Passend zur Jahreszeit riecht der Wein nach nassem Laub, Erde und irgendwie Wald. Gepaart mit kräutrigen Noten und allerlei dunklen Beeren mag das nach eher lautem Auftritt klingen, ist es aber nicht. Zurückhaltung ist das Metier dieses Weines, hier ist nix zu laut oder gar kitschig.
Dann doch deutlich ausgeprägter im Tannin als der Spätburgunder von Baeder, leicht rauchig-speckig und erdig-herb im Nachhall. In Anlehnung an „ein Maul voll Wein“ haben wir hier aber nicht ein Maul voll Dreck, sondern ein imposantes Beispiel dafür, wie starke Charaktereigenschaften harmonisch gebündelt werden.

Beide Weine habe ich hier bezogen, im Netz lassen sich aber weitere Bezugsquellen finden. Der Spätburgunder von Baeder sollte bei ca. 15€ liegen, der Kestener Paulinsberg von Steinmetz kostet einen 5er mehr.